EM Spezial Wirtschaft

EM-Spezial

„Langfristiger Imageeffekt am wichtigsten“

Die Fußball-Europameisterschaft stärkt den Zusammenhalt in Deutschland – und gehört bundesweit zu den Umsatztreibern in diesem Sommer. Von Ticketverkauf und Merchandising über Gastronomie und Hotellerie bis hin zu globalen Übertragungsrechten beeinflusst das sportliche Großereignis die Wirtschaft im Land. Wie genau, erklärt Prof. Dr. Luca Rebeggiani, Experte für Volkswirtschaftslehre an der FOM Hochschule in Bonn und selbst begeisterter Fußball-Fan.

Herr Prof. Rebeggiani, die Fußball-EM ist das Highlight des Jahres. Wie bewerten Sie die Bedeutung des Turniers für Deutschland? Welche direkten und indirekten Auswirkungen hat ein solches Sportereignis für unsere Wirtschaft?

Luca Rebeggiani: Der ökonomische Einfluss von sportlichen Megaevents ist zwar messbar, sollte aber nicht überschätzt werden. Es gibt einen kurzfristigen makroökonomischen Nachfrageeffekt während des Turniers und etwas längerfristige Effekte, beispielsweise durch Baumaßnahmen. Auf der anderen Seite kommt es aber zu Verdrängungseffekten durch gestiegene Preise und Zinsen und nicht zuletzt müssen Bau- und Sicherheitsmaßnahmen finanziert werden, was maßgeblich durch die öffentliche Hand geschieht. Die vielleicht nachhaltigste Wirkung entfaltet ein gelungenes Event meiner Meinung nach indirekt: durch eine Imageverbesserung, ein gestiegenes Zusammengehörigkeitsgefühl, und – sofern erforderlich – eine Verbesserung der Infrastruktur durch hoffentlich gelungene Baumaßnahmen. Dafür gibt es in der Forschung einige Beispiele.

 

Wenn wir über kurzfristige Umsätze sprechen: Welche Industriezweige werden voraussichtlich am meisten von der EM profitieren? Die Lebensmittelindustrie mit Chips, Softdrinks und Bier oder eher die Sportartikelindustrie mit ihren Merchandisingartikeln?

 

Luca Rebeggiani: Traditionell sind solche Sportgroßereignisse vor allem für die Sportartikelindustrie von zentraler Bedeutung, da dann die Nachfrage nach Trikots und Souvenirs weit überproportional steigt. Die Gastronomie freut sich auch über ein Umsatzplus, gerade in EM-Ausrichterstädten, die von Gäste-Fans besucht werden, aber hier sind die Auswirkungen begrenzter und hängen von vielen Faktoren ab, wie z.B. dem Wetter. 

 

Welchen Einfluss hat die Europameisterschaft auf den Tourismus?

 

Luca Rebeggiani: Es wird sicher einen kurzfristigen Anstieg der Besucherzahlen geben. Allerdings auch die schon angesprochenen Verdrängungseffekte, da viele Reisende, die nicht sportinteressiert sind, Deutschland in dieser Zeit wegen der Überfüllung und der gestiegenen Preise meiden werden. Auch für den Tourismus halte ich den langfristigen Imageeffekt am wichtigsten, wenn ein gelungenes Event Deutschland in einem positiven Licht erstrahlen lässt.

 

Gibt es Ihrer Ansicht nach durch die EM auch potenzielle negative Konsequenzen für unsere Wirtschaft?

 

Luca Rebeggiani: Kurzfristig kommt man sicher um negative Effekte wie erhöhte Umweltverschmutzung, Baulärm und steigende Preise nicht herum. Das sind aber Probleme, die recht schnell vorübergehen. Echte Negativbeispiele für missratene Sport-Megaevents haben dagegen immer mit misslungener Planung und Finanzierung zu tun. Beides ist allerdings vor allem bei Olympischen Spielen ein Problem. Fußball-Großereignisse lassen sich deutlich solider planen und finanzieren, einfach weil es auch abseits der Turniere eine hohe Nachfrage nach Fußball gibt.

 

Wird die EM auch Einfluss auf lokale und nationale Arbeitsplätze haben?

 

Dies wird, wie bereits gesagt, eher vorübergehend der Fall sein. Von einem langfristigen Image-Gewinn und einer Verbesserung der Infrastruktur dürften aber alle Bürger profitieren.

 

Mit welchen Aktionen oder Ideen können Unternehmen und Gastgewerbe in den kommenden Wochen die Fußballbegeisterung im Land für sich nutzen?


Luca Rebeggiani: Das tun die meisten tatsächlich schon: durch gezielte fußballbezogene Werbeaktionen. Sehr positiv sehe ich übrigens die seit 2006 etablierte Form des Public Viewings, des gemeinsamen Fußballschauens, weil dies die verbindende Kraft des Sports unterstreicht. Gerade Gaststätten können in Zeiten von Pay-TV durch ein entsprechendes Angebot an nicht frei empfangbaren Spielen durchaus Nachfragepotentiale aktivieren.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview führte Silke Fortmann

Zur Person

Prof. Dr. Luca Rebeggiani ist Dozent für Volkswirtschaftslehre an der FOM Hochschule in Bonn. Er forscht sowohl in den Bereichen Finanz- und Sozialpolitik als auch zu sport- und glücksspielökonomischen Fragestellungen.

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