Professor Matusiewicz, handelt es sich tatsächlich um den „Todesstoß für einen ganzen Berufsstand“, wie die Apothekerverbände die Reform lautstark bezeichnen?
Prof. Matusiewicz: Wir sind Weltmeister in der Regulation der theoretischen Risiken. Und genau das lässt sich an der Apothekenreform gut beobachten. Es besteht die Gefahr, dass ein „Reförmchen“ den Apothekenmarkt jetzt abfrühstückt und Apotheken ihre Chance und Rolle für die Zukunft verpassen. Der in der Reform angestrebte Systemwechsel zu mehr bloßem Handel mit Arzneimitteln kommerzialisiert die Versorgung. Dass der Berufsstand sich hier abgeschafft sieht, kann ich nachvollziehen. Auch wenn dieser sich schon vor Jahren in Hinblick auf Digitalisierung und seiner Rolle in einem plattformgetriebenen Markt hätte besser vorbereiten sollen.
Apotheken ohne ausgebildete Apotheker – was spricht konkret dagegen?
Prof. Matusiewicz: Ich bin als Ökonom einer der größten Befürworter der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Die Zukunft ist aber weder nur analog noch nur digital – sondern hybrid, was bei der Reform jedoch vergessen wird. Der Apotheker ist ein Heilberufler, so wie der Arzt. Apotheken sind resiliente kleine Betriebe, die in der primärmedizinischen Versorgung gebraucht werden – sie sind fast die einzige Möglichkeit in Deutschland, ohne Termin auf eine Akademikerin oder einen Akademiker im Gesundheitswesen zu treffen. Das habe ich selbst zuletzt gemerkt, als ich um 5 Uhr morgens ein Fiebermittel besorgen musste und 7 km bis zur nächsten Notfallapotheke geradelt bin. Der Patientenschutz wird in Deutschland durch den Apotheker gewährleistet – darauf fußt bis heute die Arzneimittelversorgung in diesem Land. Und genau das muss digital weiterentwickelt werden. Telemedizin wird durch das neue Gesetz nicht unterstützt, sondern stattdessen soll eine Videoschalte den Apotheker in der Apotheke wegrationalisieren. Ich sehe, dass sich Apotheken gerne digitaler aufstellen wollen und das auch u. a. beim eRezept oder bei den digitalen Impfzertifikaten zur Corona-Zeit bewiesen haben. Mehr Heilberuf durch digitale Anwendungen gestützt statt Ersatz des Apothekers halte ich für den sinnvollsten Weg.
Die Reform sieht eine Reihe von Maßnahmen vor. Welche sind Ihrer Meinung nach sinnvoll, welche nicht?
Prof. Matusiewicz: Sinnvoll ist, dass Apotheker mehr impfen und Screenings anbieten, eine geteilte Filialleitung mit zwei Apothekern und flexible Öffnungszeiten. Nicht sinnvoll ist – neben dem Konzept Apotheke ohne Apotheker – die erlaubte Fahrentfernung von drei Stunden für Apothekenleitungen zwischen ihren Betriebsstätten, die Umverteilung der 3-Prozent-Marge auf das Fixum und die Aufhebung der permanenten Dienstbereitschaft. Was zudem fehlt, sind Entbürokratisierungsideen und mehr apothekerliche Entscheidungskompetenzen bei der Medikamentenversorgung. Und: Es kommt gar kein neues Geld ins System. Ich vergleiche das Gesundheitswesen gerne mit einem löchrigen Eimer. Allein mehr Geld ins System zu kippen bringt nichts. An der richtigen Stelle aber schon – sprich, dass der Beruf in einer durchschnittlichen Apotheke auch auskömmlich honoriert wird und damit für den Nachwuchs attraktiv bleibt.
Das Interview führte Sissy Niemann.