Wirtschaftspsychologie, insb. Grundlagen und Methoden

Prof. Dr. Nora Walter spricht im Interview über mögliche psychische Auswirkungen eines exzessiven Medienkonsums. (Foto: Tom Schulte/FOM)

Psychologin über exzessiven Medienkonsum in Krisenzeiten

"Wir dürfen nicht zum Opfer von Social Media werden"

Krieg, Krise, Katastrophe – ständig konsumieren wir negative Nachrichten. Dank mobiler Endgeräte wie Smartphones ist deren Abruf ortsunabhängig zu jeder Zeit und ohne Begrenzung möglich. Die Auseinandersetzung mit negativen Nachrichten sei zwar evolutionsbiologisch erwünscht, erklärt Psychologin Prof. Dr. Nora Walter von der FOM Hochschule. Allerdings könne die Dauerbeschallung zu einem Gefühl der Hilflosigkeit führen. Im Interview spricht die Psychologin über mögliche Auswirkungen auf die mentale Gesundheit, die Tücken sozialer Medien und Wege zu einem gesunden Umgang mit Nachrichten.

Frau Professor Walter, wenn wir Nachrichten konsumieren sind wir permanent mit negativen Themen konfrontiert. Was macht das psychologisch mit uns?
Es ist völlig normal, dass wir uns mit negativen Themen auseinandersetzen. Evolutionsbedingt ist das sogar erwünscht. Denn wer damals nicht aufgeklärt war, nicht Bescheid wusste, hatte einen klaren Überlebensnachteil. Die Fragen heute lauten daher eher: Wie viel, wie oft und wie lange wir welche Informationen konsumieren. Es hilft jedenfalls nicht, mit der rosaroten Brille durch die Welt zu gehen. Mit Emotionen wie Trauer, Angst, Wut und Ekel kommen wir in der Regel gut klar.

Wann aber wird es problematisch?
Nachrichten, auf die ich keinen direkten Einfluss habe, können zu einem Gefühl der Hilflosigkeit führen. Aus dieser Situation heraus gibt es dann zwei Optionen. Entweder verfällt die Person in eine Passivität – beispielsweise zeigt sich das in Grübelzwängen und ständigen Gedankenspiralen. Oder die Person wird aktiv, versucht etwas zu tun – das kann etwa das Vorbereiten einer Flucht oder das Anlegen von Vorräten sein, um der Hilflosigkeit zu entkommen. Wenn sich ein negatives Weltbild und dieses Gefühl der Hilflosigkeit verfestigen, kann dies unter Umständen zu Depressivität, Angststörungen oder einem Informationsverarbeitungsproblem führen. Alles wird dann pessimistisch, katastrophisierend wahrgenommen, alles Negative personalisiert, also auf sich selbst bezogen.

Welche Rolle nehmen dabei soziale Medien im Gegensatz zu klassischen Medien wie einer Zeitung ein?
Eine klassische Tageszeitung bietet eine bunte Mischung aus Themen, die uns quasi vorgesetzt wird. Sie geht nicht auf unsere individuellen Bedürfnisse ein. Soziale Medien hingegen ermöglichen eine permanente Beschäftigung mit ein und demselben Thema. Sie sind nicht wie eine Zeitung oder eine Nachrichtensendung in ihrem Umfang begrenzt. Die Gefahr besteht, in der eigenen Echokammer zu verharren.

Mittlerweile gibt es für den exzessiven Konsum negativer Nachrichten in sozialen Medien den Begriff „Doomscrolling“. Was ist darunter zu verstehen?
Den Begriff gab es schon vor der Corona-Pandemie, durch die aktuellen Umstände hat er an Relevanz gewonnen. Doomscrolling meint einen zeitlich unbegrenzten, unkontrollierten negativen Nachrichtenkonsum. Meist gibt es eine innerliche Anspannung, die durch das Bedürfnis nach Informationen geschürt wird. Durch die Beschaffung von Informationen soll Entlastung verschafft werden. Allerdings werden dabei immer wieder neue Nachrichten zum Thema gelesen, die aufgrund ihres Inhalts wiederum zu neuer Anspannung führen. Ein Teufelskreis.

Aber gerade Corona war und ist doch ein Thema, bei dem es wichtig ist, informiert zu sein, weil sonst persönliche Konsequenzen drohen.
Ja, natürlich wollen wir uns Informationen beschaffen. Was bedeutet Inzidenz? Wie kann ich mich schützen? Wo bekomme ich ein Impfangebot? Das sind Fragen, die auf ein konkretes Ziel gerichtet sind. Am Ende steht ein Ergebnis. Beschäftige ich mich aber beispielsweise die ganze Zeit mit tragischen Einzelschicksalen, führt das zu einer Verunsicherung, die objektiv und statistisch betrachtet nicht angebracht ist.

Wie kann ein gesunder Medienkonsum Ihrer Ansicht nach aussehen?
Beschränkung ist da der wichtigste Punkt. Beispielsweise legt man Zeiten fest, in denen Nachrichten gelesen werden oder man definiert eine Gesamtzeit pro Tag. Ein Reminder wie ein Wecker kann dabei helfen. Oder ich sage mir, dass ich nur eine bestimmte Anzahl an Artikeln pro Tag lese. Wir dürfen nicht zum Opfer von Social Media werden. Oft geht es nicht darum, dass ich mich informiere, sondern welche Informationen ich wo nutze. Berichte über Hilfsaktionen sind beispielsweise eher positiv besetzt, obwohl der Anlass ein negativer ist. Darüber hinaus ist es wichtig, am realen Leben mit Hobbys, Freunden und Familie teilzunehmen und neben der Auseinandersetzung mit negativen Nachrichten einen Ausgleich zu finden und positive Aspekte in das eigene Leben zu integrieren.

Das Interview führte David Knapp
 

Zur Person

Prof. Dr. Nora Walter ist seit 2019 Professorin für Wirtschaftspsychologie an der FOM Hochschule. Sie lehrt in den Bereichen Grundlagen und Methoden, Suchthilfe, Psychosomatische Rehabilitationspsychologie und Gesundheitspsychologie. Zudem leitet sie Personalschulungen zum Thema Suchtprävention und berät Unternehmen zu Fragen der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz.